Swing Kids

Ein Hauch von Nostalgie umschmeichelt die Besucher des Programmkinos Lumieré in Göttingen, die sich an jenem Freitagabend erwartungsvoll in den gemütlichen Kinosesseln zurücklehnen. Es soll ein Kinobesuch der unvergesslichen Art werden. Denn statt bloßer Zweidimensionalität auf der Leinwand bietet das Lumieré ein Rahmenprogramm der Extraklasse. An diesem Abend darf sich jeder Gast zu einer ganz speziellen Zeitreise eingeladen fühlen. Das Ziel dieser Reise: Die Glanzzeit des Swing, deren Reiseleitung die Bigband Presto und die KZ-Gedenkstätte Moringen übernehmen. In Kooperation mit dem Lumieré und der Tanzschule Krebs wollen sie den gespannten Besuchern einen vertiefenden Einblick in die Welt der Swing-Musik darbieten.
Um kurz nach Acht leitet die Bigband Presto nach kurzer Begrüßung und Vorrede der Lumieré-Leitung den Beginn der Reise ein. Das Stück Sing Sing Sing stimmt die Zuhörer behutsam auf den weiteren Verlauf des Abends und die musikalische Entwicklung des Swing ein. Nach diesem ersten akustischen Aperitif heißt auch Moderator Marcus das Publikum mit wenigen, präzisen, sorgfältig gewählten Worten willkommen und erheitert anschließend die Gemüter mit ein paar Anekdoten und geschichtlichen Eckdaten rund um die Entstehung der Swing-Musik. Ein paar Sätze später werden die Ohren bereits wieder von dem Tune des Swing gestreichelt. Duke Ellington, Count Basie und Frank Sinatra werden jeweils geschwind verbal eingeführt und dann musikalisch fundiert. Optisch aufgewertet wird die Reise durch die Historie der Swing-Musik dabei zum Einen durch die Tanzeinlagen der Tanzschule Krebs und zum Anderen sorgen immer wieder ungewollt eintretende Slapstick-Einlagen der BigBand Presto für Lacher. Es wird viel gelacht, gestaunt und geklatscht in diesem ersten Teil der Zeitreise. Erst, als die BigBand die Bühne zugunsten Dr. Dietmar Sedlaczeks, Leiter der KZ-Gedenkstätte Moringen, räumt, zeigt sich die traurige Seite der Swing-Geschichte. Denn auch, wenn Swing seinerzeit für Leichtsinn, Freimut und Aufschwung stand, so haftet ihm doch auch die Geschichte des Nationalsozialismus an, der sich zur selben Zeit in Deutschland ausbreitete. Die „Swing-Kids“, wie sie allerorts in großen Städten zu finden waren, waren dem Nazi-Regime ein Dorn im Auge – probten sie doch auch auf ihre ganz eigene Weise den Aufstand gegen die Diktatur und Unterdrückung. Eben darum litten auch sie unter der Verfolgung der SS und nicht selten wurden heimlich organisierte Tanzabende von SS-Kommandos gesprengt und die festgenommenen „Verdächtigen“ in Arbeitslager deportiert. Mit Hilfe von Dias untermauert Dr. Dietmar Sedlaczek diese historischen Tatsachen. Als sich Dr. Dietmar Sedlaczek schließlich von seinen Zuhörern verabschiedet, beginnt der dritte und letzte Teil der Zeitreise – und dieser spielt sich tatsächlich „nur“ auf der Leinwand ab. Der Film „Swing Kids“ von 1993 spiegelt den Werdegang einer jugendlichen Clique in Hamburg wider, die sich auf Swing-Partys den Frust über die Nazis aus den Gliedern tanzt. Mit der Zeit jedoch kristallisiert sich bei einem der vier Jungs eine Affinität zum Gehorsam und zur Autorität heraus, die sich in dieser Form nur bei Nazis erleben lässt. Er wird Mitglied der HJ und untergräbt schließlich das Fundament der Freundschaft. Der Film endet in der dramatischen Deportation des letzten der vier Freunde, der bis zum Schluss dem Nazi-Regime die Stirn bot, indem er sich den Swing und seine Art zu leben nicht verbieten ließ.
Der Abspann des Films deutet auch gleichermaßen auf das Ende einer Zeitreise hin, wie es sie in dieser Form leider viel zu selten in Göttingen zu bestaunen gibt.

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